– oder das Protokoll einer vereinsstützenden Finanzkrise

Rund 12 000 € (einerseits ganz schön viel Geld, andererseits auch wieder nicht..) erhält umgerechnet jeder Grieche aus den Töpfen der EU zur Sanierung des hellenistischen Staatshaushalts. Sicherlich ein Zufall, aber genau dieser Betrag fehlte auch dem Schachclub Eppingen kurz vor Schluss der Saison 2009/2010. Einige Gönner waren im Zuge der Wirtschaftsrezession, die auch vor dem Kraichgau nicht Halt machte, „weggebrochen“ und die vereinseigenen Reserven nahezu aufgebraucht. Fachleute sprechen in solchen Fällen verharmlosend und beschönigend von einer „Unterdeckung des Etats“. Wie auch immer, die Vereinsoberen trafen sich deshalb im Frühjahr mehrfach, um die Clubfinanzen zu beraten. Leider blieben alle Versuche, neue Sponsoren zu finden, ohne Erfolg. Deshalb schlug unser überaus gewissenhafter Kassierer Wolfgang Geiger Alarm, zumal sich die Überweisung zugesagter Gelder zu allem Übel auch noch verzögerte: Wir müssen die Öffentlichkeit über unsere Lage informieren! Sein Credo, das schließlich alle Verantwortlichen überzeugte, lautete: Wenn in den nächsten Wochen kein Geld von außen fließt, werden wir nicht umhin kommen, unser Team aus der Bundesliga zurückzuziehen. Obwohl ich die Unterrichtung der Öffentlichkeit scheute wie der Teufel das Weihwasser (wer gesteht schon gerne der Welt ein, dass er nahezu blank ist), wussten wir alle, dass Wolfgang Recht hatte. Bevor ich jedoch das Pressegespräch anberaumte, mussten die Vereins- und die Mannschaftsmitglieder mit einem – wie ich das Schreiben taufte – „Brandbrief“ über die Situation in Kenntnis gesetzt werden. Sie sollten keinesfalls aus den Medien unsere Lage erfahren, nein, ich wollte sie selbst darüber informieren. Fatal wäre zudem, wenn durch eine Spendenaktion das nötige Geld zusammenkäme, unserer SpielerInnen aber inzwischen bei anderen Clubs angeheuert hätten. Am Karfreitag (ausgerechnet, nomen est omen..) ging die vereinsinterne Info raus.
In dieser Phase ereilte mich Überraschung Nr. 1: Noch am gleichen Abend reagierten drei Eppinger Schachfreunde auf den „Brandbrief“, indem sie ankündigten, dass sie zu „zweckgebundenen Spenden“ bereit wären. Sie würden – je nach individueller finanzieller Situation – einen Betrag X beisteuern, aber nur, wenn die Mannschaft weiterhin in der 1. Liga spielt. So kam schnell ein ansehnlicher Sockelbetrag zusammen, dennoch waren wir in dieser Phase Lichtjahre von der benötigten Summe entfernt. Und da ich persönlich keinen Einheimischen auf der Peleponnes gut genug kenne, um bei ihm eben mal die 12 000 Euro zu pumpen, vereinbarte ich notgedrungen für Anfang April ein Pressegespräch mit den beiden größten Gazetten der Region. Das Treffen fand Mittwoch nach Ostern in unserem Vereinslokal „Villa Waldeck“ statt. Auf dem Weg zum gefühlten Schafott begleitete mich unser zweiter Vorsitzender Jörg Haueisen („Haui“), der in dieser Woche Urlaub hatte. Kurz bevor ich zu dem Pressetermin aufbrach, erlebte ich die Überraschung Nr. 2: Ein Unternehmer der Region hatte kurz zuvor bei meiner Frau angerufen und um meinen Rückruf gebeten, was ich auf die Schnelle tat. Seine Botschaft war sehr kurz, dafür aber umso erfreulicher: Er habe den SCE bislang noch nicht unterstützt, wolle aber angesichts der entstandenen Situation mit einer (für unsere Verhältnisse nicht gerade kleinen) Spende helfen. Außerdem könne er sich das auch in den nächsten Jahren gut vorstellen, aber die Details müssten wir noch in aller Ruhe bilateral besprechen. Nun ging ich schon etwas zuversichtlicher zu dem Treffen.
Das Pressegespräch verlief nach meinem Eindruck gut, auch wenn sich „Haui“ am nächsten Tag bei der Zeitungslektüre über ein angeblich von ihm stammendes Zitat – gelinde gesagt – wunderte und sich flugs an seinen PC setzte, um dies in einem Rundschreiben an alle Mitglieder richtig zu stellen…
Die Nachricht, dass der SCE aus finanziellen Gründen die 1. Bundesliga verlassen könnte, schlug in der Region ein wie eine Bombe. Wir Verantwortlichen wurden von zahlreichen Mitbürgern auf der Straße immer wieder nach den Hintergründen für diesen Schritt befragt, wobei die Gespräche in 99 Prozent der Fälle mit der Feststellung endeten: Das kann und darf ganz einfach nicht sein, die Erfolgsstory der letzten Jahre muss fortgeschrieben werden! Selbst das Stadtoberhaupt, Oberbürgermeister Klaus Holaschke, bekennender SCE-Fan und häufiger Gast bei den Heimspielen, schaltete sich ein, weil er das Attribut „Bundesliga-Stadt“ künftig auf keinen Fall missen möchte…
Die Überraschungen Nr. 3 und Nr. 4 für mich bestanden darin, dass zum einen auch solche MitbürgerInnen Geld auf das SCE-Konto überwiesen, die allenfalls peripher etwas mit dem Verein zu tun haben. Außerdem reagierten unerwartet viele Vereinsmitglieder auf den Spendenaufruf, darunter nicht wenige, von denen man es aufgrund ihrer persönlichen wirtschaftlichen Umstände nicht unbedingt erwarten durfte. Aber sie alle würden ihr Geld nur unter dem Vorbehalt überweisen, dass der Schachclub in der ersten Bundesliga bleibt. Bis zum 30. April hatten wir die Spendenaktion befristet, weil sich der Verein spätestens bis zum 1. Mai erklären musste, ob er von seinem Spielrecht in der Belle Etage Gebrauch machen würde. Und die Gelder flossen langsam, aber stetig…
Die Überraschung Nr. 5 kam während unserer letzten beiden Heimspiele auf mich zu. Der Großteil der Mannschaft reiste wie üblich schon am Freitag an. Ohne dass wir Funktionäre dieses Thema angesprochen hatten, signalisierten einige Aktive von sich aus, dass auch sie bereit seien, einen Beitrag zur Konsolidierung der Vereinsfinanzen zu leisten. Ein Vorschlag aus dem Kreis der Spieler lautete, für ein Match auf das (Anmerkung des Verfassers: ohnehin bescheidene) Honorar zu verzichten. Eine andere Variante befürwortete eine moderate Absenkung der Bezüge für alle Aktiven. Wie immer diese Diskussion letztlich enden wird, zeigt sie doch sehr eindrucksvoll, dass die bisherige Personalpolitik des SC Eppingen hundertprozentig richtig war: Noch nie hatten wir „Wandervögel“ oder solche Spieler verpflichtet, die anstelle des Tagesgrußes am Brett als allererstes Wort „Remis“ von sich geben. Teamchef Hans Dekan hatte sein Augenmerk stets auf solche Aktive gerichtet, die zu auch uns passen und die sich ohne wenn und aber für den Verein einsetzen.
Kassenwart Wolfgang Geiger hielt mich die ganze Zeit hinsichtlich der Spendeneingänge auf dem Laufenden. In der dritten Aprildekade war klar, dass die Aktion auf alle Fälle in den erhofften Erfolg münden würde. Für die meisten Verantwortlichen war es denn mehr eine rhetorische Frage, als sie im Rahmen der eigens anberaumten Sitzung ihr Votum hinsichtlich der Fortsetzung unserer Bundesligazugehörigkeit abgaben. Mit dieser Empfehlung ging die Vorstandschaft am nächsten Abend auch in die Generalversammlung gehen.
Am nächsten Tag erlebte ich unmittelbar vor der Mitgliederversammlung die Überraschung Nr. 6: Ich selbst war noch mit dem Aufbau meines Laptops und eines Beamers befasst, weil ich meinen Bericht in Form einer PowerPoint-Präsentation halten wollte. Deshalb begrüßte ich nur kurz einen alten Bekannten, der offensichtlich an der Tür zum Nebenzimmer auf jemanden wartete. Offenbar hatte er sich dort mit Hans Dekan, dem Coach unserer „Ersten“, verabredet. Kurz bevor ich die trotz der dramatischen Begleitumstände unterdurchschnittlich besuchte Zusammenkunft eröffnete, raunte Hansi mir zu, dass unser gemeinsamer Bekannter dem SCE soeben einen vierstelligen Betrag gespendet habe…
Fazit: Obwohl der „Gang nach Canossa“ den Vereinsoberen des Schachclubs Eppingen und mir persönlich sicherlich nicht leicht fiel, war dieses Outing aus heutiger Sicht der einzig richtige Schritt! Wir haben inzwischen das angestrebte Ziel sogar noch deutlich übertroffen! Die vielfältigen Beweise der Solidarität aus dem Verein, der Fachwerkstadt sowie aus den umliegenden Regionen Kraichgau und Franken werten die Verantwortlichen des Vereins aus der kleinsten Bundesligastadt als glasklaren Auftrag, das Kapitel „Erste Bundesliga“ auch in Zukunft fortzusetzen. Ich darf mich – auch im Namen aller Vorstandskollegen – an dieser Stelle nochmals ganz herzlich bei unseren Mitgliedern, Sponsoren, Freunden und Gönnern für die Unterstützung bedanken. Sie alle gaben uns eine Steilvorlage, sie zu verwerten, das ist nun unsere Aufgabe…

Rudolf Eyer
1. Vorsitzender

„Zwölf Tausend Euro…“